+++ Fiktiver Schaden, Schätzung des Haushaltsführungsschaden bei fehlenden Tabellenwerken +++
OLG Celle
26.6.2019
14 U 154/18
Schätzung des Haushaltsführungsschaden bei fehlenden Tabellenwerken; Stundensatz für den Bereitschaftsdienst zur Pflege eines Verletzten durch nahe Angehörige bei fiktiver Schadensabrechnung
- Zu den vermehrten Bedürfnissen im Sinne des § 843 Abs. 1 2. Alt. BGB gehört auch der Betreuungsaufwand naher Angehöriger, der über die üblicherweise im Krankheitsfall zu erwartende persönliche Zuwendung innerhalb der Familie hinausgeht. Der ersatzfähige Aufwand zur Befriedigung vermehrter Bedürfnisse bestimmt sich nach den Dispositionen, die ein verständiger Geschädigter in seiner besonderen Lage treffen würde (Anschluss BGH, Urt. v. 28.08.2018 – VI ZR 518/16).
- Die Grundsätze für die Berechnung des Haushaltsführungsschadens bei einer Nichtein-stellung einer Ersatzkraft können auch für die Berechnung der Pflegekosten im Rahmen der fiktiven Schadensabrechnung berücksichtigt werden.
- Bereitschaftsdienst ist nicht gleichzusetzen mit einer ständigen aktiven Arbeitsleistung. Deshalb ist bei der fiktiven Abrechnung von Hilfsdienstleistungen im Rahmen des Bereitschaftsdienstes vom üblichen Stundensatz – 8,00 EUR – ein angemessener Abschlag vorzunehmen.
- Für den Bereitschaftsdienst der nahen Angehörigen ist bei fiktiver Abrechnung ein Stundensatz von 6,00 EUR angemessen.
- Die Aufteilung der Hausarbeit bestimmt sich grundsätzlich nach der in der Familie der Verletzten vor dem Unfall getroffenen Vereinbarung bzw. dort gelebten Praxis. Eine nachträgliche Umverteilung gemäß den heute überwiegend in Deutschland üblichen Gepflogenheiten bei der Lebensführung findet nicht statt.
- Die für die Bemessung des erforderlichen Zeitbedarfs für die Hausarbeit regelmäßig verwendeten Tabellenwerke sind im Rahmen eines Rechtsstreits für die Schadensschätzung (§ 287 ZPO) untauglich. Denn die Tabellenwerke weisen schwerwiegende Unstimmigkeiten auf, haben keinen Bezug zum konkreten Schaden und setzen willkürliche Werte ohne be-lastbares Datenmaterial an. Sie sind für die Schadensschätzung auch nicht ergänzend heranzuziehen (Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung).
- Die Bemessung des auszugleichenden Haushaltsführungsschadens hat sich nach den tatsächlichen Verhältnissen des betroffenen Haushalts zu richten. Diese sind vom Geschädigten oder auch seinen Angehörigen im Einzelnen darzulegen.
- Bei der Bemessung des Haushaltsführungsschadens ist im Rahmen der fiktiven Abrechnung ein Stundensatz von 8,00 EUR angemessen.
- Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes (Kapitalbetrag oder Rente) ist ein geänderter Berechnungsansatz, der einen insgesamt höheren Schmerzensgeldbetrag ermöglicht (oder ermöglichen kann), ohne weitere Gründe für die Bemessung unbeachtlich (entgegen OLG Frankfurt, Urt. v. 18.10.2018 – 22 U 97/16 [„taggenaue Abrechnung“]).
- Ein Verstoß gegen das Willkürverbot liegt bei gerichtlichen Entscheidungen vor, wenn die Entscheidung bei verständiger Würdigung der das GG beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht. Das ist anhand objektiver Kriterien festzustellen. Schuldhaftes Handeln des Richters ist nicht erforderlich. Die fehlende Begründung eines (teilweise) aberkannten Anspruchs kann einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot darstellen (Anschluss BVerfG, Beschl. v. 16.03.2019 – 1 BvR 1235/17).
StVG § 7
BGB § 823, § 843 Abs 1 Alt 2, § 845
ZPO § 287