Außerordentliche Kündigung – sexuelle Belästigung – Interessenabwägung – Abmahnung

+++ Außerordentliche Kündigung – sexuelle Belästigung – Interessenabwägung – Abmahnung +++
BAG – LAG Hamm – ArbG Paderborn
9.6.2011
2 AZR 323/10

1. Eine sexuelle Belästigung i.S.v. § 3 Abs 4 AGG stellt nach § 7 Abs 3 AGG eine Verletzung vertraglicher Pflichten dar. Sie ist an sich als wichtiger Grund i.S.v. § 626 Abs 1 BGB geeignet. Ob die sexuelle Belästigung im Einzelfall zur außerordentlichen Kündigung berechtigt, ist abhängig von den Umständen des Einzelfalls, u.a. von ihrem Umfang und ihrer Intensität.

2. Eine sexuelle Belästigung i.S.v. § 3 Abs 4 AGG liegt vor, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird. Bereits eine einmalige sexuell bestimmte Verhaltensweise kann den Tatbestand der sexuellen Belästigung erfüllen. Für das Bewirken genügt der bloße Eintritt der Belästigung. Auf vorsätzliches Verhalten kommt es dabei nicht an.

3. Das Tatbestandsmerkmal der Unerwünschtheit erfordert – anders als noch § 2 Abs 2 S 2 Nr 2 BSchG nicht mehr, dass die Betroffenen ihre ablehnende Einstellung zu den fraglichen Verhaltensweisen aktiv verdeutlicht haben. Maßgeblich ist allein, ob die Unerwünschtheit der Verhaltensweise objektiv erkennbar war.

4. Den bei der Prüfung einer außerordentlichen Kündigung zu beachtenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz konkretisiert auch § 12 Abs 3 AGG. Danach hat der Arbeitgeber bei Verstößen gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs 1 AGG, zu denen auch sexuelle Belästigungen i.S.v. § 3 Abs 4 AGG gehören, im Einzelfall die geeigneten, erforderlichen und angemessenen arbeitsrechtlichen Maßnahmen wie Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung zu ergreifen. Welche Maßnahmen er als verhältnismäßig ansehen darf, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. Geeignet im Sinne der Verhältnismäßigkeit sind nur solche Maßnahmen, von denen der Arbeitgeber annehmen darf, dass sie die Benachteiligung für die Zukunft abstellen, dh. eine Wiederholung ausschließen.

5. Ist der Arbeitnehmer wegen gleichartiger Pflichtverletzungen schon einmal abgemahnt worden und verletzt er seine vertraglichen Pflichten gleichwohl erneut, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch weiterhin zu Vertragsstörungen kommen. Dabei ist nicht erforderlich, dass es sich um identische Pflichtverletzungen handelt. Es reicht aus, dass die jeweiligen Pflichtwidrigkeiten aus demselben Bereich stammen und somit Abmahnungs- und Kündigungsgründe in einem inneren Zusammenhang stehen. Entscheidend ist letztlich, ob der Arbeitnehmer aufgrund der Abmahnung erkennen konnte, der Arbeitgeber werde weiteres Fehlverhalten nicht hinnehmen, sondern ggf. mit einer Kündigung reagieren.

AGG § 3 Abs 4, § 7 Abs 1, § 7 Abs 3, § 12 Abs 3
BGB § 626 Abs 1